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Sag beim Abschied leise Servus.

„Du bist nicht mehr da, wo Du warst, aber Du bist überall, wo wir sind.“

Keine Tipps, Ratschläge, flapsigen Sprüche oder humorige Einlagen heute. Einfach nur sehr persönliche Zeilen mit ganz persönlichen Gedanken.


Schockstarre

Bumm, zack! In einem Moment sitzt du mit deinen Schwiegereltern beim gemeinsamen Mittagessen, und im nächsten Moment findest du dich auf der Intensivstation mit desinfizierten Händen und Plastikmantel wieder.

Vor mir liegt mein Schwiegervater, intubiert, an der Dialyse hängend, mit zugeklebten Augen - kurz vor einem multiplen Organversagen.

Die Tränen schießen mir ein. Mein Herz rast, ich spüre das Pochen an der Halsschlagader. Paralysiert starre ich den Monitor nieder, der neben seinem Bett steht und hoffe, dass die Sauerstoffsättigung nicht fällt.

Ich schaue vis á vis zu meiner Schwiegermama und sehe, wie sie um Fassung ringt. Sie streckt ihre Hand aus und streichelt seine ganz zärtlich. Aus den Augenwinkeln nehme ich die zitternden Hände meines Mannes wahr, der neben mir steht und kreidebleich auf seinen Papa schaut. Überall im Raum piept es. Neben meinem Schwiegervater liegen noch drei andere Intensivpatienten.

 

 

Am 10.02.2020 ist mein Schwiegervater verstorben. Wochen später, verstehen wir immer noch nicht, wie schnell alles ging. Er war zwar Ü80, aber geistig topfit und sonst gut beinander, wie man so schön sagt. Ok, die Hüft-OP voriges Jahr hat ihren Tribut gezollt, alles ging nicht mehr so zügig.

Er hat konsequent sein Physioprogramm durchgezogen, er war einkaufen, spazieren (ohne Gehstock, denn das ist nur etwas für alte Leute, wie er immer gemeint hat :), hat seine E-Mails gecheckt, einen Streamingdienst angemeldet, uns Bilder per WhatsApp gesendet. Es war ihm ein Gräuel nicht am neuesten Stand zu sein. Natürlich mussten wir „Kinder“ alles nachjustieren, aber er hat sich solange mit Technologien beschäftigt, bis er sie einigermaßen verstanden hat. Auch wenn der Aufschrei zwischen durch laut war. :)


Lungenentzündung

Der Verlauf seiner Krankheit weist Parallelen auf, die wir derzeit bei Covid19 sehen. Er hat einige Tage zuvor leichten Husten bekommen, Temperatur, die Atmung fiel ihm etwas schwerer. Er dachte an eine Erkältung - augenscheinlich nicht besonders tragisch. Mit Verdacht auf Lungenentzündung, der sich bestätigte, wurde er auf Anraten seines Arztes ins Spital gebracht. Es ging ihm jedoch soweit ganz gut, er schmiedete Pläne für die Zeit nach der Entlassung. Nach zwei Tagen allerdings wurde er von der normalen Station auf die Intensivstation verlegt. „Wir gehen nur auf Nummer sicher, die Beatmung kann hier besser beobachtet werden“, sagten uns die Ärzte. Ein Corona Test war negativ.

 

Zwischen Hoffnung und Verzweiflung

Wir waren immer an seiner Seite, um ihm das Gefühl zu geben, da zu sein - auch an jenen Tagen, wo er nicht ansprechbar war. Zwischendurch konnte sogar der Intubationsschlauch entfernt werden, er war bei Bewusstsein und hat mit uns gesprochen. Hoffnung keimte auf. Er musste mir versprechen, bei meinem Geburtstag in drei Wochen wieder da zu sein. Er lächelte und zwinkerte mir zu.

 

 

Abschied

Die Infektion war nicht und nicht in den Griff zu bekommen. Nach zwei Wochen hatte sich sein Zustand massiv verschlechtert - wir sollten Abschied nehmen. Als es soweit war, war die ganze Familie anwesend. Er hat um sein Leben gekämpft und den Kampf verloren - die Augen für immer geschlossen. 

Viele dürfen aktuell ihre Lieben weder im Krankenhaus besuchen, sie begleiten oder sich am Sterbebett verabschieden. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir die Gelegenheit hatten - so furchtbar dieser Augenblick auch war.

 

Täglich verfolge ich die Statistiken und sehe, wie die Zahl der Intensivpatienten ansteigt. Es krampft mich innerlich zusammen. Bilder, die sich bei mir eingebrannt haben, kommen hoch. Für die einen sind es Zahlen oder einfach eh nur die Alten, aber es sind Menschen und deren Familienmitglieder, die gerade Angst haben, verzweifelt sind - und in vielen Fällen einen ihrer Lieben verlieren werden.

 

Es gab, gibt und wird immer tragische Sterbefälle geben. Wenn wir als Gesellschaft aber aktuell dafür Sorge tragen können, unsere älteren oder chronisch kranken Mitmenschen durch Umsicht, Fürsorge, Einhaltung der Vorgaben zu schützen, dann darf sich hier niemand aus der Verantwortung ziehen!

 

In Frankreich, Italien, Spanien stapeln sich zur Zeit die Toten. Es muss bereits entschieden werden, wer von den Alten beatmet werden soll. Die anderen, die vielleicht gerettet werden könnten, bekommen nur mehr Schmerzmedikamente.

„Ich hatte ein schönes Leben. Wenn sie einen Jüngeren nehmen, ist das in Ordnung für mich“, sagt eine ältere, kranke Dame in Frankreich. Die Alten haben das Nachsehen und machen den Jungen den Weg frei. Es ist so unfassbar traurig und es macht mich gleichzeitig wütend, dass wir nicht mehr unternehmen können.

 

Viele nehmen die momentane Situation immer noch auf die leichte Schulter und finden alles sehr lustig. Wird dann auch noch gelacht, wenn es die eigene Oma, Tante, Mutter, Schwester betrifft, die auf eine Intensivstation muss? 

 

Wir sollten immer daran denken, jede(r) einzelne von uns ist vulnerabel, also verwundbar!

 Alles Liebe!


P.S. Meine persönliche Heldin ist gerade meine Schwiegermutter, die sich nicht über die aktuellen Ausgangsbeschränkungen beschwert, obwohl sie sehr quirlig ist. Sie bleibt alleine zu Hause, räumt die Wohnung um, putzt Fenster, kocht, telefoniert mit uns und Freunden. Sie lacht und sagt: „Ich schaffe das. Es ist, wie es ist.“ - und doch höre ich ihre Tränen und ihre Trauer.

 

P.P.S: Lieber Schwiegervati! Du hast uns immer vorgelebt, was es bedeutet Familie zu sein und stets alle zusammengetrommelt. Du hast mich vor 28 Jahren in deine Familie aufgenommen, als wäre ich deine Tochter. Du hast mich zum Altar geführt, wir haben so viel Zeit miteinander verbracht, gelacht, gefeiert, lautstark diskutiert. Dafür bin ich so dankbar. Und ich bin froh darüber, dass ich dir das vor einiger Zeit persönlich gesagt habe. Deine beiden Söhne, dein Enkel waren immer dein ganzer Stolz und deine Frau, mit der du über 60 Jahre verheiratet warst, hast du so sehr geliebt. Es zerreißt uns das Herz, dass du nicht mehr da bist. Wir lieben dich von ganzem Herzen. Und während ich diese Zeilen schreibe, läuft im Hintergrund „Schön war die Zeit“. Du hast es dir für deine Beerdigung gewünscht, wir haben es dir gespielt. Du fehlst

 Bilder: Susanne Wagner, Pixabay

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